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29.06.2022

Wie Sie Ihre Lieferanten auf den Weg zur Digitalisierung bringen

Unternehmen sollten daran arbeiten, die digitalen Fähigkeiten ihrer Lieferanten passend zu ihren eigenen Ansprüchen auszubauen – nur so können…

Tobias Kosmol / Felix Reimann / Lutz Kaufmann - 29. Juni 2022

Tipps für Praktiker

Die Digitalisierung verändert rasant die Art und Weise, wie Käufer und Lieferanten in den Lieferketten zusammenarbeiten. Von der Implementierung komplexer Systeme wie künstlicher Intelligenz und Big-Data-Analysen bis hin zur Nutzung leichter zugänglicher Technologien (z. B. Cloud Computing) ist der Wandel weltweit zu spüren. Insbesondere die Trends im Bereich der digitalen Beschaffung, d. h. die Nutzung digitaler Lösungen für den Einkauf von Waren und Dienstleistungen, sind in der Einkaufs-Community in aller Munde. Viele Unternehmen sind heute schon in der Lage, diese fortschrittlichen Technologien zu nutzen, wodurch sie Geld einsparen und ihre Effizienz über die Zeit verbessern können. Doch trotz des allgemeinen Wandels hin zur Digitalisierung sind viele Manager noch unsicher, wie der Start in Richtung digitale Beschaffung aussehen soll: Was sind die organisatorischen Voraussetzungen, die im Vorfeld geschaffen werden müssen? Ein neuartiger Ansatz bei diesem Thema ermöglicht es Unternehmen, sich weniger auf die unterschiedlichen Technologien zu konzentrieren, sondern vielmehr auf die Schritte, die notwendig sind, um das Unternehmen und seine Lieferanten fit für die Zukunft zu machen.

Unterschiedliche Bereitschaft zur Digitalisierung führt zu Fragmentierung und Engpässen

Um zu verstehen, wie digitale Beschaffung in Lieferantennetzwerken erfolgreich umgesetzt werden kann, haben wir  die Rolle von „digitaler Bereitschaft“ bei Lieferanten und einkaufenden Unternehmen untersucht. Digitale Bereitschaft ist dabei der Grad, zu dem ein Unternehmen in der Lage ist, neue digitale Technologien in seinen Beschaffungsablauf einzubinden. Wir konnten feststellen, dass Unterschiede in der digitalen Bereitschaft zwischen einkaufenden Unternehmen und Lieferanten eine Hauptursache für Fragmentierung und Engpässe innerhalb der Lieferkette sind.

Was es braucht, um Ihre digitale Beschaffungsstrategie umzusetzen

Die Ergebnisse unserer Fallstudien zeigen, dass europäische Unternehmen in unterschiedlichem Maße zur Etablierung digitaler Beschaffungsmaßnahmen bereit sind. Einige haben sich bereits auf den Wandel eingestellt, verfügen über die notwendigen finanziellen Mittel und haben sowohl intern als auch extern Schritte unternommen, um eine digitale Beschaffungsstrategie zu verfolgen. Erfolgreich waren dabei Unternehmen, die beispielsweise einen eigenen Chief Digital Officer eingestellt haben, dessen Aufgabe es ist, den Transformationsprozess zu leiten. Andere Unternehmen dagegen tun sich schwer, ihre Pläne für die digitale Beschaffung umzusetzen. Obwohl diese Unternehmen mittlere bis hohe organisatorische Bereitschaft und Engagement für die Digitalisierung der Arbeitsabläufe zeigen, mangelt es ihnen noch an der Synchronisierung ihrer Bemühungen mit ihren Lieferanten, so dass die Verwirklichung ihrer Ideen ins Stocken gerät. Darüber hinaus haben die einkaufenden Unternehmen angespannte Geschäftsverhandlungen mit einigen ihrer Lieferanten erlebt, die bei der digitalen Beschaffung weniger weit fortgeschritten waren.

In den Fällen, in denen Geschäftsbeziehungen schwierig und letztlich auch nicht erfolgreich waren, war die Bereitschaft der Lieferanten zur Umsetzung fortschrittlicher Maßnahmen relativ gering. Erschwert wurden die Beziehungen zwischen Käufer und Lieferanten dabei zusätzlich durch allgemeines Desinteresse, Verwirrung oder fehlende Unterstützung auf Lieferantenseite. Selbst wenn das einkaufende Unternehmen selbst schon gut vorbereitet ist, wird eine mangelnde Bereitschaft auf Lieferantenseite die Implementierung digitaler Beschaffungstechnologie behindern. Dies kann zu schwerwiegenden Engpässen in der Lieferkette führen.

Wie sehen erfolgreiche Kooperationen zwischen dem einkaufenden Unternehmen und seinen Lieferanten aus?

Führungskräfte des einkaufenden Unternehmens müssen nicht unbedingt dafür Sorge tragen, dass sich bei externen Lieferanten die Bereitschaft zum Ausbau der Digitalisierung erhöht. Dennoch ist es ratsam, proaktiv zu handeln und genau über die Situation im Bilde zu sein. Die Verantwortlichen im einkaufenden Unternehmen sollten die Einführung von Anreizprogrammen in Erwägung ziehen oder Schulungen und technische Unterstützung anbieten, um die Bereitschaft zu mehr Digitalisierung bei ihren wichtigsten Partnern zu stärken. Auf diese Weise können Manager sicherstellen, dass sich sowohl ihr eigenes Unternehmen als auch ihre Lieferantenbasis mit der gleichen Geschwindigkeit entwickeln.

Daher müssen auch die Lieferanten dazu bereit sein, sich anzupassen, wenn sich die Gelegenheit bietet – oder wenn Probleme auftreten. Andernfalls könnten sie eine ehemals fruchtbare Zusammenarbeit gefährden. Ein Beispiel: Ein Lieferant verursachte aufgrund seiner veralteten IT-Infrastruktur, die auch die Implementierung eines robusteren EDI-Bestandssystems (Electronic Data Interchange) unmöglich machte, unnötige Engpässe. Im Vergleich dazu gab es jedoch auch ein erfolgreiches Gegenbeispiel: Ein Lieferant war bereit, die Chance zu ergreifen, die IT-Infrastruktur in seiner eigenen Firma aufzurüsten und dadurch auch seine Beziehungen zu den Käufern zu verbessern.

Die Studie gibt den heutigen Beschaffungsmanagern einen ersten Leitfaden, wie sie sowohl ihre eigene Bereitschaft zur Digitalisierung als auch die ihrer Lieferanten analysieren können: Beide Parteien einer Käufer-Lieferanten-Beziehung müssen bereit für Veränderungen sein, um die gewünschte Technologie effizient nutzen zu können.  Letztendlich ist die vertiefte Zusammenarbeit für beide Seiten von Vorteil und zeigt, dass Geschäfte sicherer und effizienter abgeschlossen werden können, wenn alle an einem Strang ziehen.

Tipps für Praktiker

  • Denken Sie daran, dass es nicht nur um Ihr eigenes Unternehmen geht. Ihre Lieferanten müssen einen ähnlichen Grad an Bereitschaft zur Digitalisierung haben, um eine erfolgreiche Umsetzung zu gewährleisten.
  • Überlegen Sie sich, wie Sie Ihren Lieferanten den Weg in die Zukunft erleichtern können. Bieten Sie technische Unterstützung, Schulungen oder Anreizprogramme an (z. B. den Status als bevorzugten Lieferanten oder positive Lieferantenbewertungen), um Ihre gemeinsame Geschäftsbeziehung zu stärken. Halten Sie die Kommunikationskanäle offen und überlegen Sie, wie Sie Ihrem Unternehmen helfen können, indem Sie zuerst Ihren Partnern helfen.
  • Suchen, finden und teilen Sie die besten Digitalisierungspraktiken mit Ihren Lieferanten – You’ll never walk alone.

Literaturverweis und Methodik

Um empirisch herauszufinden, wie sich interorganisationale Praktiken auf die Schnittstelle zwischen Einkäufer und Lieferant auswirken, wurde eine Reihe von Fallstudien durchgeführt. Das Forschungsteam analysierte die Daten zweier westeuropäischer Einkaufsunternehmen und deren Lieferanten sowohl in Europa als auch in China. Durch die Analyse von Interviews, die mit allen Beteiligten geführt wurden, und die Suche nach Mustern, konnte das Forschungsteam jene Faktoren aufdecken, die zu einer erfolgreichen oder erfolglosen Implementierung neuer Technologien in einkaufenden Unternehmen oder bei deren Zulieferern führten.

  • Kosmol, T./Reimann, F./Kaufmann, L. (2019): You’ll never walk alone: Why we need a supply chain practice view on digital procurement, in: Journal of Purchasing & Supply Management, 25(4), 1–17. https://doi.org/10.1016/j.pursup.2019.100553

Autoren

Tobias Kosmol

Tobias Kosmol verantwortet im Procurement Center of Excellence von Infineon strategische Beschaffungsprozesse. Bevor er zu Infineon wechselte, war er fünf Jahre bei der Einkaufsberatung INVERTO, einer Tochter der Boston Consulting Group (BCG), tätig. In seiner Rolle als Senior Project Manager unterstützte er Industriekunden aus der Automobil- und Maschinenbaubranche in den Bereichen digitale Beschaffung, Risikomanagement und Dekarbonisierung von Lieferketten. Tobias Kosmol schloss sein Studium an der Universität Mannheim mit dem Master in Management ab und promovierte an der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Prof. Dr. Felix Reimann

Felix Reimann ist Experte für strategische Lieferantenbeziehungen und B2B-Verhandlungen an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Forschungsschwerpunkte sind Macht und Kooperation in Geschäftsbeziehungen sowie die Zusammenarbeit mit Lieferanten in Schwellenländern. Reimann betont die globale Ausrichtung der Hochschule und verfügt über ein weitreichendes Netzwerk zu Unternehmen und Institutionen, insbesondere in Asien.

Prof. Dr. Lutz Kaufmann

Lutz Kaufmann ist Professor und Experte für Geschäftsverhandlungen an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf die empirische Forschung im Bereich B2B-Verhandlungen und Beschaffungsstrategien. Lutz Kaufmann ist seit 2008 European Editor des im Beschaffungs- und Logistik-bereich weltweit führenden wissenschaftlichen Journals, dem Journal of Supply Chain Management (JSCM). Von 2010 bis 2014 war er Associate Fellow an der Saïd Business School der University of Oxford. Er erhielt 2021 den OSCM Distinguished Scholar Award der Academy of Management.

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