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28.08.2024

Quo vadis, Frauenfußball?

Eine neue Studie zeigt, dass der Frauenfußball in Europa eine große Zukunft hat – wenn bestimmte Herausforderungen rechtzeitig angegangen werden

Sascha L. Schmidt / Dominik Schreyer / Julian Hadwiger - 28. August 2024

In den vergangenen Jahren hat der Frauenfußball in Europa einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt. Dieser ist vor allem auf prominente integrierte Vereine wie Arsenal Women FC, FC Barcelona Femení und Paris Saint-Germain zurückzuführen, die zuletzt Rekorde bei den Zuschauerzahlen verzeichnet haben. Ein deutlicher Anstieg des Zuschauerinteresses zeigte sich auch in Ligen wie der englischen Barclays Women's Super League (WSL), der deutschen Frauen-Bundesliga und der spanischen Liga F. Auch im Ausland haben internationale Großereignisse wie die UEFA Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2022 in England und die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2023 in Australien und Neuseeland neue Rekorde bei den Zuschauerzahlen in den Stadien und vor den Bildschirmen aufgestellt. 

Diese steigende Nachfrage zieht Investor:innen und Sponsor:innen an und ist ein Zeichen für das wachsende kommerzielle Potenzial des Sports. Unterdessen arbeiten die Dachverbände an neuen Strategien, um reine Frauenteams besser in etablierte Clubs zu integrieren und den Frauenfußball für zukünftige Entwicklungen aussichtsreich zu positionieren.

Zu gut, um wahr zu sein?

Das starke Wachstum ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die Rekordbesucherzahlen konzentrieren sich oft auf einige wenige Vereine in den Ligen und das Interesse am Frauenfußball ist insgesamt nach wie vor deutlich geringer als das am Spiel der Männer. Im Vereinigten Königreich beispielsweise erreicht der Frauenfußball etwa 20 % der Zuschauerzahlen der englischen Premier League (EPL), wobei allein auf den Arsenal London WFC 35 % aller Frauenfußball-Tickets entfallen. In finanzieller Hinsicht ist der Unterschied sogar noch größer: Die EPL-Clubs erwirtschaften jährlich rund sechs Milliarden Pfund, die WSL dagegen nur 48 Millionen. Viele integrierte Clubs betrachten den Frauenfußball eher als Neben- statt als Kerngeschäft. Das wirkt sich auf die finanzielle Nachhaltigkeit aus und verursacht ein Lohngefälle zwischen Männern und Frauen.

Quo vadis, Frauenfußball?

Der Frauenfußball steht am Scheideweg. Entweder wächst er neben den Männerteams weiter oder entwickelt innovative Regeln und Formate, um neue eigene Zuschauergruppen anzulocken. Beispiele für neue Formate sind die vielversprechende King's League und die Baller League, deren langfristiger Erfolg jedoch ungewiss ist.

Daraus ergeben sich wichtige Fragen: Wird der Frauenfußball ein Nebenprodukt der Männermannschaften bleiben oder wird er sich als eigenständiger Wettbewerb durchsetzen? Begründet er ein nachhaltig erfolgreiches Geschäft? Wie wird er sich vom Männerfußball unterscheiden und wo können Synergien effektiv genutzt werden?

Vierundachtzig Experten wagen den Blick in die Zukunft

Um die Zukunft des Frauenfußballs zu erforschen, führten Wissenschaftler der WHU – Otto Beisheim School of Management zwischen Mai und Juni 2024 eine Online-Delphi-Studie durch, an der 84 Expertinnen und Experten aus zehn verschiedenen Ländern teilnahmen. Durch diese bewährte Methode wurden die wichtigsten Interessengruppen – darunter Fußballverbände, Vereine, Medien, Sponsoren, Wissenschaftler:innen und Fanvertreter:innen – in die Studie einbezogen. Die Branchenexpert:innen gaben ihre Einschätzung zu 14 Prognosen, die die Auswirkungen von Fans, Partnern, Innovationen sowie finanziellen und organisatorischen Veränderungen auf den Frauenfußball in Deutschland bis 2031 berücksichtigten.   

Auf, auf und davon!

Expert:innen sind sich einig, dass sich der Frauenfußball auf einem Wachstumspfad befindet, der durch vier wichtige Trends gekennzeichnet ist. Die zweite Prognose der Studie geht beispielsweise davon aus, dass der professionelle Frauenfußball in Deutschland mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 67 % eine Verdreifachung seiner Fanreichweite bis 2031 erlangen wird. Eine weitere Prognose sagt eine Verdreifachung des Sponsoringwertes voraus (Prognose #06, 68 % Eintrittswahrscheinlichkeit). Von integrierten Vereinen erwarten die Expert:innen, dass sie ein hohes Maß an Synergien ausschöpfen werden (Prognose #13, 73 %), und es ist wahrscheinlich, dass alle Spielerinnen der 1. Bundesliga ein professionelles Einkommen erzielen werden (Prognose #14, 75 %). Diese Vorhersagen deuten auf ein beträchtliches Wachstum des Fan-Engagements, des Sponsorings und der beruflichen Möglichkeiten für Fußballspielerinnen hin.

Es gibt noch ungenutztes Potenzial

Die Expert:innen haben vier potenzielle Differenzierungsmerkmale für den Frauenfußball im Vergleich zum Männerfußball identifiziert: mögliche Wachstumsinvestitionen (Prognose #05, 63 %) und neue Unterhaltungsformate oder Spieltagserlebnisse (Prognosen #01, 59 %; und #11, 58 %) könnten für neue Impulse sorgen. Skeptisch sind sie hingegen, was die zukünftige ausgeglichene Sportberichterstattung über Frauen und Männer in den Medien angeht (Prognose #03, 32 %), sowie bei der Einführung eines Playoff-Systems oder einer paneuropäischen Liga (Prognosen #09, 28 % und #10, 40 %).

Nicht alle Veränderungen sind positiv

Während die Expert:innen einerseits Chancen auf Wachstum sehen, haben sie auch potenzielle Veränderungen mit negativen Konsequenzen ausgemacht. So besteht kein Konsens darüber, ob sich die Fernsehübertragung des Frauenfußballs von der des Männerfußballs unterscheiden wird (Prognose #04, 46 %) und die Expert:innen sind der Meinung, dass Investitionen an anderer Stelle sinnvoller sein könnten. Neben der bereits erwähnten Skepsis in Bezug auf Playoff-Systeme und eine paneuropäische Liga wird auch der Einsatz von Wearables (Prognose #12, 59 %) als unwahrscheinlich und unerwünscht angesehen. 

Potenzielle Verdrängung im doppelten Sinn

Zwei Prognosen weichen vom allgemeinen Trend hin zu mehr Wachstum ab. Die Expert:innen sind sich einig, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Sportberichterstattung geschlechtergerechter wird (Prognose #03, 32 %), obwohl dies ein wichtiger Faktor für künftiges Wachstum ist. Außerdem wird erwartet, dass integrierte Vereine unabhängige Frauenvereine im deutschen Profifußball verdrängen werden (Prognose #07, 76 %) – eine höchst unerwünschte Entwicklung. 

Was bedeutet das nun?

Die Studie zeigt, dass integrierte Frauenmannschaften zwar von positiven Spillover-Effekten profitieren können, aber ihre eigene Identität und Einnahmequellen entwickeln müssen, um zu gedeihen. Die befragten Expert:innen sind durchaus enthusiastisch, was die Zukunft des Frauenfußballs angeht, vorausgesetzt, der Sport meistert die angesprochenen Herausforderungen erfolgreich.

Literaturverweis und Methodik

Die zugrundeliegende Delphi-Studie wurde durch die finanzielle Unterstützung und die Mitarbeit mehrerer engagierter Partner ermöglicht, darunter Bayer 04 Leverkusen, Borussia Dortmund, DAZN, Deutscher Fußball-Bund (DFB), S20 und VfL Wolfsburg. Bei der Erstellung der Prognosen haben die Forschenden in mehreren Workshops die Expertise der Partner in Anspruch genommen. Keiner dieser Partner hat Einfluss auf die Interpretation oder Darstellung der empirischen Ergebnisse der Studie genommen oder diese beeinflusst. 

Die Delphi-Methode ist eine bewährte Technik zur Strukturierung von Gruppenkommunikationsprozessen. Sie nimmt eine zukunftsorientierte Perspektive ein und ermöglicht die Einschätzung, wie wahrscheinlich es ist, dass bestimmte Entwicklungen (z. B. in der Sportbranche) eintreten werden. Das Center for Sports and Management an der WHU – Otto Beisheim School of Management hat umfangreiche Erfahrungen mit der Durchführung von Delphi-Studien gesammelt, sowohl für die Wissenschaft als auch für die Presse.

Der vorliegende Artikel basiert auf der folgenden Studie:

Schmidt, S. L./Hadwiger, J./Schreyer, D. (2024): Football but better? Professional Women’s Football in Germany by 2031. WHU: Düsseldorf/Vallendar.

Downloaden Sie die vollständige Studie hier.

Autoren der Studie

Prof. Dr. Sascha L. Schmidt

Sascha L. Schmidt ist Inhaber des Lehrstuhls für Sport und Management an der WHU – Otto Beisheim School of Management und akademischer Direktor des dort ansässigen Center for Sports and Management (CSM). Er ist zudem Mitglied des Lab of Innovation Science an der Harvard University und der Digital Initiative an der Harvard Business School (HBS). Professor Schmidt ist Mitautor mehrerer sportbezogener HBS-Fallstudien und Initiator des MIT Sports Entrepreneurship Bootcamp. In seiner Forschung konzentriert er sich auf Wachstums- und Diversifizierungsstrategien professioneller Sportclubs, insbesondere mit Blick auf deren Zukunftsfähigkeit.

Prof. Dr. Dominik Schreyer

Dominik Schreyer ist außerplanmäßiger (apl.) Professor für Sportökonomie an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf, Deutschland, und Direktor des Center for Sports and Management (CSM). In seiner überwiegend empirischen Forschung konzentriert sich Dominik Schreyer besonders auf die Analyse der Sportnachfrage (z. B. das Nicht-Erscheinen von Fußballzuschauern) und auf Fragen der Stadionökonomie (z. B. Heimvorteilsforschung). Er hat mehr als 40 Artikel in internationalen, peer-reviewten Fachzeitschriften veröffentlicht, darunter Economic Inquiry, European Sport Management Quarterly, Games and Economic Behavior, Technological Forecasting & Social Change und Journal of Vocational Behavior.

Julian Hadwiger

Julian Hadwiger ist Doktorand am Center for Sports and Management der WHU. In seiner Forschung kombiniert Julian seine Begeisterung für Unternehmensstrategien und Finanzkennzahlen mit seiner Leidenschaft für Sport. Zuvor beriet er Unternehmen zu strategischen Fragestellungen von Diversifikation über M&A bis zu Restrukturierungen als Unternehmensberater bei McKinsey & Company und Analyst bei Linde plc. Als Stipendiat absolvierte er sein Masterstudium in Management an der London Business School, welches er mit Auszeichnung abschloss. In seiner Jugend spielte er als Verteidiger am DFB-Stützpunkt Fußball und war ein glühender Verfechter der geordneten Grätsche. Seit seiner Kindheit hält er treu zu seinem HSV und lebt dadurch jene Tugend vor, die er am meisten schätzt – Loyalität.

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