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28.06.2024

Mit grüner Flotte in die Zukunft

Wie Flottenmanager:innen dank eines neuen Optimierungsmodells die eigenen Umweltziele nachhaltiger und günstiger erreichen

Jonas Winkelmann / Prof. Dr. Stefan Spinler - 28. Juni 2024

Tipps für Praktiker

Ob Kleidung, Lebensmittel oder Technik – alle Konsumgüter, haben meist einen weiten Weg hinter sich, bevor sie im Geschäft ankommen. Wie groß das Umweltproblem ist, das diese Logistik verursacht, zeigen  Erhebungen der Europäischen Umweltagentur: Im Jahr 2020 verursachte der Transportsektor 22 Prozent aller Kohlenstoffdioxidemissionen oder, konkreter ausgedrückt,729 Megatonnen CO2 in den EU-Staaten. Dabei war dies, bedingt durch das deutlich geringere Transportvolumen während der Corona-Pandemie, ein wenig repräsentativer Wert (2019: 835 Megatonnen CO2e). Deutschland und die EU haben ihre Ziele für Klimaneutralität bereits in Gesetze gegossen. Große Spediteure und Logistikunternehmen haben sich eigene ehrgeizige Ziele gesetzt. So möchte der Transport- und Logistikdienstleister DB Schenker seine CO2-Emissionen bis 2040 auf null senken. Die DHL Group – der zweitgrößte Logistiker der Welt – will dieses Ziel bis 2050 erreichen. 

Solche Klimaschutzziele sind für die Logistikunternehmen nicht nur zeitlich ambitioniert. Ihre großen Fahrzeugflotten auf saubere Antriebstechnologien umzustellen, ist für die Firmen teuer. Und das Gros der Flotten läuft nach wie vor mit Dieselmotoren. Daher sollten sich Flottenmanager:innen großer Logistikunternehmen zwei Schlüsselfragen stellen: In welche alternativen Antriebstechnologien sollten wir investieren, um unsere selbstgesteckten Umweltziele zu erreichen? Und wann ist der richtige Zeitpunkt, die jeweilige Technologie anzuschaffen oder abzustoßen? Um die Betriebskosten für das Unternehmen während der Umstellung möglichst gering zu halten, muss die Planung genau durchdacht sein. 

Worauf gilt es, bei der Erneuerung der Fahrzeugflotte zu achten?

Flottenmanager:innen müssen bei einer derart umfangreichen Transition zahlreiche Faktoren berücksichtigen: Anschaffungskosten und Verkaufspreise der Fahrzeuge, deren Wertverlust sowie die Preise für Kraftstoffe, Batterien und den Ausstoß von CO2. Weil es ungewiss ist, wie sich die einzelnen Variablen genau entwickeln, kommen exakte Voraussagen über den idealen Zeitpunkt für die Umrüstung der Flotte schnell an ihre Grenzen. Mit einem unter anderem an der WHU – Otto Beisheim School of Management neu entwickelten Optimierungsmodell lässt sich der gesamte Zeitraum für die Planung bis 2050 abbilden. Eine solche Methode ist bislang einzigartig. Das Modell berücksichtigt die Eigenheiten jedes Logistikunternehmens individuell, so werden beispielsweise die Größe der zu ersetzenden Fahrzeuge, die Fahrtstrecken, unterschiedliche Technologien als Ersatz für Verbrennungsmotoren und selbstgesteckte Emissionsziele berücksichtigt. 

Auf welche Technologie sollten Flottenmanager:innen setzen?

Flottenmanager:innen bieten sich unter anderem drei wirkungsvolle Optionen, um schmutzige Dieselmotoren als Antriebssysteme abzulösen: Flüssiggas, Batterie oder Brennstoffzellen. Dabei verursacht die Verbrennung von Flüssiggas weiterhin CO2-Emissionen, jedoch weniger als mit Dieselmotoren. Flüssiggasbetriebene Fahrzeuge können für Logistikunternehmen eine Brückentechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität sein, insbesondere dann, wenn die Dieselpreise anziehen. Zudem ist diese Technologie in Fahrzeugflotten aktuell schon relativ kostengünstig einsetzbar. Auf lange Sicht wird sie den ehrgeizigen Klimazielen aber nicht gerecht. Diese können hauptsächlich mit Elektrofahrzeugen und mit Brennstoffzellen ausgestatteten Lastwagen erreicht werden. Denn sie sind CO2-neutral im Betrieb, in der Anschaffung aber noch teuer. Wann ist also der richtige Zeitpunkt für die Umstellung gekommen, ohne das zwischenzeitlich die Betriebskosten zu stark steigen?

Sprint oder Marathon? Zu welchem Zeitpunkt die Umrüstung der Fahrzeugflotte am kostengünstigsten ist  

Das Optimierungsmodell der WHU wurde in einer Fallstudie bereits in der Praxis getestet: Ein deutsches Logistikunternehmen hat sich das Ziel gesetzt, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 35 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 zu senken und von  2045 an vollkommen CO2-neutral unterwegs zu sein. Aufwändige Berechnungen mithilfe des neu entwickelten Modells legen folgende Schritte nahe, um diese Klimaschutzziele möglichst kostengünstig zu erreichen: 

Bis 2029 nutzt die Flotte weiterhin weitgehend Dieselmotoren, ihr Anteil sinkt jedoch auf 77 Prozent. Der Anteil klimafreundlicherer Flüssiggas- und Elektrofahrzeuge steigt unterdessen leicht. Um das Klimazwischenziel 2030 zu erreichen, stößt das Unternehmen kurz vorher einen Großteil der Transporter mit Verbrennungsmotoren ab und ersetzt sie bei Neuanschaffungen durch Elektrofahrzeuge. Fahrzeuge mit Brennstoffzellen spielen in dieser Phase noch keine Rolle, weil sie preislich nicht wettbewerbsfähig sind. Bis 2039 gewinnen sie jedoch stetig an Bedeutung und machen dann, genau wie mit Flüssiggas betriebene Transporter, einen Anteil von circa zehn Prozent der Flotte aus. 

Einen bedeutenden Umbruch markiert das Jahr 2042. Erstmals wird die Fahrzeugflotte des Logistikers in diesem Jahr mehr Brennstoffenzellen-betriebene Fahrzeuge umfassen als klassische Verbrenner. Die Brennstoffzellentechnologie ist zu diesem Zeitpunkt wettbewerbsfähig geworden. Die Dieselfahrzeuge werden zunehmend ausgemustert, um die Klimaziele zu erreichen. 

Eine weitere Zäsur läutet das Jahr 2045 ein – das Jahr, in dem das Unternehmen klimaneutral werden möchte. Um dieses Ziel zu erreichen, verkauft der Logistiker alle übrigen Fahrzeuge mit Verbrennungs- oder Flüssiggasmotoren und verbannt sie aus der Flotte. Sie werden vollständig durch Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge ersetzt, was zu einem enormen Sprung dieser Antriebstechnologien in der Flotte führt. Mit einer Verteilung von 54 zu 46 Prozent sind beide Antriebsarten in der Flotte nun etwa zu gleichen Teilen vertreten. Bis 2050 wird sich dieses Verhältnis noch drehen und Transporter mit einer Brennstoffzelle werden mehr als die Hälfte der Fahrzeugflotte ausmachen. Brennstoffzellen haben sich nun endgültig als bevorzugte Antriebstechnologie durchgesetzt.

Die Fallstudie zeigt, dass künftig innerhalb weniger Jahrzehnte enorme Umbrüche stattfinden. Flottenmanager:innen müssen deshalb viele Variablen im Auge behalten. Sie müssen weitsichtig planen, Anschaffungen zeitlich gut kalkulieren und die Entwicklungen der unterschiedlichen Antriebstechnologien im Auge behalten.    

Wie die Fallstudie des Logistikunternehmens belegt, lohnt sich der verfrühte Wechsel auf alternative Antriebstechnologien zumindest aus Kostensicht nicht. Stattdessen sollten Unternehmer:innen die jeweiligen Fahrzeuge der Flotte möglichst lange nutzen (im Durchschnitt etwa zehn Jahre), damit sich die Anschaffung rentiert und der Wertverlust weniger stark ins Gewicht fällt. Flottenmanager:innen sind also gut beraten, im Sinne der Betriebskosten nicht aktionistisch zu agieren, auch wenn es sie den angestrebten Umweltzielen schneller näher bringen würde. Von den Ergebnissen der Studie können auch andere Logistikunternehmen profitieren. Das neue Optimierungsmodell ermöglicht es Flottenmanager:innen wesentlich fundiertere Entscheidungen über langfristige zukünftige Entwicklungen zu treffen. 

Tipps für Praktiker

  • Es lohnt sich finanziell nicht, aktionistisch zu handeln und verfrüht auf alternative Antriebstechnologien umzustellen. Setzen Sie lieber auf die Langlebigkeit Ihrer Fahrzeuge und planen Sie als Flottenmanager:in vorausschauend in großen Zeiträumen. 
  • Mit Flüssiggas betriebene Fahrzeuge können eine Brückentechnologie sein, während Sie als Flottenmanager:in Ihre Fahrzeugflotte umstellen. Langfristig werden Sie damit aber ehrgeizige Klimaziele verfehlen. Planen Sie den Wechsel zu Elektro- und Brennstoffzellentransportern, um Klimaneutralität zu erreichen.

Literaturverweis

- Winkelmann, J./Spinler, S./Neukirchen, T. (2024): Green transport fleet renewal using approximate dynamic programming: A case study in German heavy-duty road transportation, in: Transportation Research Part E: Logistics and Transportation Review, Volume 186, 2024, 103547. DOI: https://doi.org/10.1016/j.tre.2024.103547

Co-Autoren der Studie

Jonas Winkelmann

Jonas Winkelmann ist externer Doktorand und ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Sustainable Supply Chain Management und der Resilienz von Lieferketten. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich insbesondere mit der Optimierung der Dekarbonisierung von kommerziellen Transportflotten. Parallel ist Jonas Winkelmann als Senior Analyst bei Picnic Technologies angestellt. Zuvor arbeitete er als Supply Chain Specialist bei McKinsey & Company.

Prof. Dr. Stefan Spinler

Prof. Dr. Stefan Spinler ist Inhaber des Lehrstuhls für Logistikmanagement an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Forschung konzentriert sich vorwiegend auf die Bereiche Nachhaltigkeit von Lieferketten und deren Risikomanagement. Alle Forschungsaktivitäten werden zusammen mit führenden Logistikdienstleistern und Industrieunternehmen durchgeführt. Prof. Spinler war bereits als Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology und an der University of Pennsylvania, The Wharton School, tätig.

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